Kapitel 15: Krankenhaus, Erdbeeren und dann wieder Deutschland

Der Tag der Prüfung! 

-“Oh mein Gott, ich will nicht! Ich schaff das nicht!”

Tags zuvor hatte ich wieder einen Heulkrampf, obwohl es doch echt nichts Großes war. Für die anderen Studenten, die ebenfalls diese Prüfung machten, war es auch wirklich nichts Besonderes. Sie brauchten das Sprachzertifikat auch nicht, um eine Zukunft in Rom aufzubauen, sondern wollten es für sich selbst oder um im Lebenslauf etwas vor weisen zu können. Ich hingegen stand unter enormen Druck. Ich musste es schaffen, damit ich mich im September an der Uni einschreiben konnte.

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Morgens um Punkt 9 Uhr ging es los. Ein paar Tage zuvor hatten wir einen genauen Plan bekommen. Wie organisiert die Italiener doch sind…! 

Die ersten zwei Stunden hatten wir Zeit, über ein Thema unserer Wahl einen Text von etwa 300 Wörtern zu verfassen. Das machte mir am wenigsten Sorgen, denn Schriftlich war ich überraschend gut. In meiner Prüfung wählte ich das Thema; „Das Stadtleben im Vergleich zum Landleben“ und was meine persönliche Meinung sei. Natürlich war ich für das Stadtleben. In einer Stadt zu leben wie beispielsweise Rom, bedeutet man benötigt kein Auto, es ist immer was los, alles ist sehr nah…man kann sich jederzeit vor eine U- Bahn werfen, wenn man zu sehr Schiss vor einer ollen Prüfung hatte… Stadtleben ist doch super!

Die ersten zwei Stunden hatte ich also gut überstanden. Nach einer kurzen Kaffeepause kamen wir zum Vokabelteil. Hier mussten wir vor allem Lücken in Sätze füllen oder kurze Fragen beantworten. Das Thema hierbei war „Krankenhaus“! 

Na viele Dank, “bastardi!” 

Wir hatten im Unterricht wirklich alles gemacht, von “Strand” über “Urlaub” bis hin zu “Kochen” und anderen Hobbys. Und dann wollten sie von uns Vokabeln zum Thema “Krankenhaus” wissen. Ich hatte wirklich keine Ahnung und schrieb irgendwas. 

Der darauf folgende Grammatikteil war nicht wirklich besser und ich war einfach nur froh, als wir endlich die Pause hatten. Danach folgte nur noch das freie Reden und der letzte Prüfungsabschnitt war dann das Hörverständis. Für das freie Reden, bei dem ich im Unterricht regelmäßig versagte, kamen immer zwei Studenten zusammen. Diese Prüfung wurde geführt von unserem Direktor Alessandro und einer Lehrerin von einer anderen Schule. Alessandro kannte meine Situation und ich hoffte wirklich er würde ein Auge für mich zu drücken. Immerhin hatte ich auch für die Prüfung und dem dazugehörigen Kurs gezahlt. 

Alessandro und die Lehrerin waren sehr nett, doch die Prüfung war nicht einfach. Mein Mitstudent und ich sollten ein Ehepaar spielen, dessen Kind alleine ins Ausland fährt. Ein Großteil unserer Diskussion bestand darin, wer von uns die Mutter spielen sollte. Nach ein paar Minuten waren wir uns immer noch nicht einig und Alessandro beschloss daher, dass ich die Mutter spielen sollte. Ich spielte also eine italienische “mamma” die ganz begeistert von der Idee sei, dass ihre Tochter alleine nach Amerika reist und nun versucht ihren Ehemann davon zu überzeugen. 

Ich redete einfach irgendwas. Wie lange doch 10 Minuten sein können…. 

Ich kam raus und war Schweiß gebadet. Es war bereits 13:30 und nach einer kurzen Pause ging es weiter. 

Das Hörverständnis bestand darin, eine Audio- CD anzuhören und ein entsprechendes Arbeitsblatt zu bearbeiten. Zuerst ging es nur darum, ob die geschriebenen Aussagen zutrafen oder nicht. Ein Mann berichtete also von seiner Arbeit und wir markierten die Sätze mit richtig oder falsch. Das ging noch. Zum Schluss hörten wir einem Pärchen zu, dass seine Koffer für den Urlaub packte. Wir hatten dazu verschiedene Bilder von Gegenständen und wir kreuzten an, was in den Koffer kam. Das ging glaube ich auch noch recht gut.20190210_081641

Als ich das Schulgebäude verließ war es bereits 14 Uhr und wir alle waren platt.  Die Ergebnisse sollten in ein paar Wochen bekannt gegeben werden. Wir redeten noch ein bisschen über die Prüfung und von einigen Mitstudenten verabschiedete ich mich, denn sie flogen gleich am nächsten Tag wieder nach Hause. Ich blieb noch bei einer kleinen Gruppe von Mitstreitern, bis ich drei bekannte Gesichter und einen riesigen, wuscheligen Hund erblickte. 

Ich glaubte es kaum, doch da waren tatsächlich Fico (in Jeans, Turnschuhen und Jacket) mit meiner kleinen Schwester (in gammligen Jeans, gammligen Turnschuhen und gammliger Strickjacke) und ihrem Anwalt (super schnick in Armani-Hosen, Dolce und Gabbana- Schuhen und in einem Hugo Boss-Anzug). Meine Schwester hatte Pitú (wuschelig und hibbelig wie immer) an der Leine und dieser sah mich als erstes und zog meine zierliche Schwester quer über den ganzen Schulhof zu mir. Die anderen hinterher. Alle umarmten mich und gratulierten mir, als hätte ich einen Doktor gemacht. Die anderen Studenten schauten etwas irritiert, doch ich war echt froh. Wir beschlossen irgendwo nett essen zu gehen und natürlich anzustoßen. Mit uns kamen noch drei weitere Studenten und wir fanden ein nettes kleines Restaurant in der Nähe der Piazza Navona. Wir saßen draußen und bestellten erst einmal Wein. Wir redeten, tranken und aßen. Meine Schwester brauchte zwar ewig bis sie mit ihren Salat fertig war (Fico und ich halfen auch), aber sie aß! 

Nach so einem anstrengenden Tag, war das genau das richtige. Wir beschlossen am Wochenende richtig feiern zu gehen, auch die drei Studenten waren begeistert. Ein Kanadier und zwei Mexikanerinnen, super Mischung!

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Am Freitag gingen wir in eine Disco mit Namen „bosco della fragola“, also Erdbeerwald. Klingt toll, ist es auch. Ich erinnere mich kaum an die Location oder wo dieser mysteriöse Ort überhaupt war aber es war genial. Wir waren eine ziemlich großen Gruppe. Fico hatte noch ein paar Bekannte eingeladen und die Studenten, von meiner Schule waren mit dabei. Selbst meine Schwester und Chicco fehlten nicht. Wir trafen uns alle in der Wohnung meiner Schwester zum Vorglühen und aßen noch etwas (meine Schwester glühte nur vor!). Dann riefen wir ein Taxi, besser gesagt drei Taxen und nach etwa zwanzig Minuten waren wir dort. Meine Schwester und ich hielten uns hauptsächlich an der Bar auf. Ich tanze eigentlich nicht gerne und sie mochte eigentlich gar nichts gerne außer trinken. Fico und Chicco hingegen machten zusammen mit dem Rest der Truppe die Tanzfläche unsicher. Chicco war ein überraschend guter Tänzer. Er bewegte sich richtig rhythmisch. Tanzen konnte er also auch noch…

Es war eine 80er Mottoparty und dementsprechend war auch die Musik. Nicht wirklich mein Geschmack aber es war lustig. Irgendwann mal schleppte Fico dann noch zwei junge Brasilianerinnen zu uns an die Bar. Wir flirteten und tranken heftig. Es irritierte mich zwar für einen Augenblick, dass auch meine Schwester mit den Brasilianerinnen flirtete, und zwar mit beiden, aber das war schon ok. Ein echt gelungener Abend. 

Der Morgen danach war natürlich furchtbar, ich wusste nicht mal mehr wie wir heim kamen. Trotzdem hat es sich gelohnte. Ich hatte schon ewig nicht mehr richtig gefeiert und es tat einfach gut. Außerdem war es toll, auch mal mit meiner Schwester auszugehen. So langsam lernte ich sie ein wenig kennen. 

Ja…meine kleine Schwester. Immer noch ein ziemlich fremdes Wesen für mich aber immer mehr lernte ich sie kennen. Wovon ich jedoch keine Ahnung hatte, waren ihre ganzen Ticks, also Handlungen, Wiederholungen, die sie immer wieder ausüben musste. Zwanghaft. Also Zwangshandlungen!

Zum Beispiel beim Kaffeetrinken: der italienische Kaffee ist einfach göttlich. Auch meine Schwester liebte ihn und somit war es neben Alkohol und Tabletten auch so ziemlich das einzige, was sie regelmäßig zu sich nahm. Aber nicht nur ihren Clooney. Vor allem liebte sie den Kaffee in den kleinen Snackbars in Rom, die es hier zu tausenden gab. Sie nahm eigentlich immer einen Cappuccino „to go“, also „porta via“. Dieser kam dann in einen kleinen Plastikbecher mit Zucker und einem kleinen Plastiklöffel. Meine Schwester bestand immer auf einen Löffel, ich denke sie ist so ziemlich die einzige die einen Löffel für ihren Cappuccino brauchte. Denn in Rom trinkt man den Kaffee generell wirklich nur des Kaffeewillen und um einen kurzen Plausch zu halten. Dafür braucht man keine zusätzlichen Utensilien, wie einen Löffel. a8c662d1-fd50-4b17-a228-ba56d42cb3df

Außerdem hatte sie noch den Tick, dass sie beim Trinken den Becher immer drehte, um auch die letzten Reste des Milchschaums zu erreichen. Das sah nicht nur etwas merkwürdig aus, sondern machte auch einen ziemlich nervös. 

Im Gegensatz zu meinen Familie wusste ich von diesen Zwangshandlungen nichts und umso schwieriger war es anfangs für mich. Beispielsweise kontrollierte sie mehrmals am Tag, ob das Gas in ihrer Wohnung ausgeschaltet war, gerade abends. Dabei rannte sie zwei-drei- Mal hintereinander in ihre Küche, um den Gashahn zu überprüfen. Dann die Herdplatten und den Backofen. Immer das gleiche Spiel. Diese Prozedur macht sie immer, wenn sie durch die Eingangstür kam. Nach jedem Einkauf, wenn sie von der Uni oder Arbeit nach Hause kam oder wenn sie sonst aus irgendeinen Grund das Haus verlassen hatte oder eben vor dem zu Bett gehen. Sobald sie wieder in ihrer Wohnung war rannte sie in die Küche und dann noch einmal und noch einmal. Ebenfalls bevor sie schlafen ging, kontrollierte sie mehrmals das Terrarium von Absinth, ob dieses auch nicht irgendwie offen stand. Absinth ist eine Schlange, er kann sich sehr schmal machen und passt dann auch durch die engsten Ritzen. Trotzdem ist es nicht nötig ca.12mal abends das Terrarium zu kontrollieren. Naja, was soll’s. Ich denke es belastete sie sehr aber sie kam da halt nicht mehr raus, zumindest nicht in diesem Moment. Vielleicht kann ich ihr ja irgendwie helfen. 

Mal sehen. 

Ein ganz netter Tick war jedoch, dass sie in jeder Kirche in der sie vorbei kam  hineinging (Rom hat mehr als 950 Kirchen!), um zwei Kerzen anzuzünden. Wir sind beide nicht besonders gläubig. Ich hasste Gott manchmal so richtig, weil ich das Gefühl hatte er verarscht mich jeden gottverdammten Tag. Und sie war nicht besonders religiös, weil sie wahrscheinlich an gar nichts glaubte. Doch diese beiden Kerzen mussten sein; Eine für unsere Familie und Freunde und die andere für sämtliche Mäuse und Ratten, die in unserem Tiefkühler landeten bevor Absinth sie dann verspeist. 

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Ja, ein netter Tick… an den anderen Ticks könnten wir irgendwann noch arbeiten.

Was jedoch so langsam etwas wurde, war das essen. Sie aß immer noch nicht wirklich viel und auch nicht sehr oft, aber es kam hin und wieder vor, dass sie sich beim Essen, zu uns gesellte. Sie knabberte dann ewig an irgendwelchem Gemüse herum und trank dazu mindestens einen halben Liter Wein. Aber immerhin! 

Ich war froh und machte da keinen Druck. Auch Fico reagierte richtig. Er machte kein großes Theater wenn sie nichts aß und sich nur auf den Wein konzentrierte aber er sprang auch nicht vor Freude in die Luft, wenn sie an einer Karotte nagte. Interessant war nur, was er immer öfters kochte: 

Ich erinnerte mich zu Beginn unseres Zusammenlebens kochte er, wie man es von einem Italiener erwartet: Viel Pasta, Fleisch und ab und zu auch etwas süßen. Immer dabei auch viel gutes Gemüse mit noch mehr Olivenöl und Parmesan. 

Nun, seit meine Schwester manchmal mit uns aß und vor allem nur Gemüse, kochte er auch viel mehr davon. Er grillte es ohne Öl oder Sonstiges in unserem Ikea- Grill. Es war also wirklich nur Gemüse und so aß sie es. Also gab es als „primo piatto“ Pasta mit einer leckeren Soße, die schon sehr viel Gemüse beinhaltete und dazu gegrillte Gemüse. Als „secondo piatto“ für uns Männer ein Stück Fleisch. Dies wurde mittlerweile auch immer öfters gegrillt, um Geschirr zu sparen und noch mehr Gemüse. Natürlich auch gegrillt. Und als Nachtisch Obst, nicht gegrillt! 

Zudem war auch Chicco ab und zu mit von der partie. Er aß alles, sehr bewusst und langsam. Es wirkte richtig elegant, wenn er mit Messer und Gabel hantierte. Während Fico und ich mehr oder weniger das Essen in uns hineinschaufelten, bewegte er seine Finger ganz grazil und geschmeidig über seinen Teller. Der Mann blieb einfach ein Phänomen. Ich wusste nichts über ihn. Auch meine Schwester hatte keine Ahnung über sein Privatleben und wollte das auch gar nicht wissen. Er arbeitete für sie und basta! 

Mein italienischer Kumpel und ich rätselten oft, wie Chicco wohl privat sei. Wir hatten schon die wildesten Theorien. Dass er beispielsweise nachts umherstreifen würde und irgendwelchen Touristen das Blut aus dem Hals saugte und tagsüber in einem Sarg schlief, dass er eine Art Dr. Jekyl und Mr. Hide sei der sich vor Gericht verwandelte, um dann dem Verteidiger das Blut auszusaugen. Oder, das er vielleicht doch ein ganz netter Mensch sei, der mit seiner Familie in einem idyllischen kleinen Haus am Stadtrand von Rom lebte. Wobei wir die letzte Theorie schnell verworfen hatten. Wir wollten doch ein bisschen realistisch bleiben…und blutiger.  

Wie er auch immer privat sein möge, so langsam gewöhnten wir uns an ihm. Das lag auch ein wenig daran, dass durch ihn unsere Wohnung immer glänzte, die Wäsche ständig frisch gewaschen war und der Kühlschrank in regelmäßigen Abständen gefüllt wurde. Außerdem vertraute meine Schwester ihn und sie vertraute eigentlich niemanden. Wie gesagt, er hatte sogar unseren Haustürschlüssel. Selbst die Tiere schienen kein Problem mit ihm zu haben. Daher hatten wir es auch nicht. 

Kurz nach der Prüfung flog ich erneut nach Deutschland, wieder für einen Monat. Ich ging zum Konsulat, zur Übersetzerin, suchte andere wichtig Dokumente zusammen und packte nochmal zwei große Pakete, die ich nach Rom schickte. Außerdem kündigte ich noch sämtliche Verträge wie Vodafone und mein Fitnessstudio, in dem ich so gut wie nie war. Ich fühlte mich in Deutschland wirklich nicht mehr richtig. Ich war einfach nur ein Gast. Mir ging es gut bei meinen Eltern, es war auch schön nochmal einige Freunde und Bekannte zu sehen, die mir versicherten, dass sie mich alle in Rom besuchen kommen würden. Aber ich gehörte nach Rom. Zumindest redete ich mir das ein. Ob es wirklich richtig war, wusste ich nicht. Doch es war zumindest nicht falsch. 

Meine Anwesenheit schadete scheinbar auch meiner Schwester nicht. Meine Eltern hätten vor Freude fast geweint, als ich ihnen erzählte, dass sie gegrilltes Gemüse mit Wein zu sich nahm. Eher Wein mit gegrilltem Gemüse, aber das spielte ja keine Rolle. 

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Wir regelten auch noch das Finanzielle. Rom ist nicht extrem teuer aber trotzdem brauchte ich Geld. Ich bestand darauf, da ich ja schon Mietfrei lebte, wenigstens mich um sämtliche Einkäufe zu kümmern. Also Essen und Getränke für Fico und mich, Putzmittel für Chicco und Alkohol und Gemüse für meine Schwester. Nicht zu vergessen Hunde- und Katzenfutter sowie gefrorene Ratten für Absinth. 

Da kam einiges zusammen. Außerdem fragte ich meine Lehrerin Sabrina, mit der ich alleine den Extraunterricht nachmittags hatte, ob sie mir Privatunterricht geben konnte. Also hatte ich noch einmal die Woche Unterricht mit ihr. Ich war echt froh, denn sie war nett, zuverlässig und eine prima Lehrerin. Aber ihr Unterricht war nicht umsonst. Meine Eltern betonten zwar immer, dass ich mir doch wegen dem Geld keine Sorgen machen bräuchte, aber ich denke keiner ist wirklich gerne abhängig. Und ich war von so vielen Menschen abhängig. Sei es aus finanziellen Gründen oder weil ich, wie in Rom, oft keinen blassen Schimmer von irgendwas hatte. 

Gerade auf die römischen Bürokratie solle ich mich gefasst machen, betonte meine Schwester. Fico nickte an dieser Stelle immer ganz heftig mit dem Kopf. Er war wirklich ein sehr positiv denkender Mensch. Er erkannte fast immer das Gute und Schöne, selbst in den furchtbarsten Situationen. Aber bei der Bürokratie hier in Rom wurde er ganz blass. 

-“Was genau ist denn so schlimm hier in Rom?”

-“Das kann man nicht erklären, das muss man erleben. Und du wirst es erleben!”

-“Ach… das bekomme ich auch noch hin! Facile…”

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