Kapitel 19: Gaga? Und wie!

War ich Student? Na ja nicht so richtig…ich ging zwar in den Unterricht, redete mit sämtlichen Professoren, kaufte Bücher ohne Ende für meine Seminare, machte Hausaufgaben und verbrachte viel Zeit mit Studenten in einer Uni, aber.…   

IMG_0155

Aber ich war kein Student! Immer noch nicht. Und es machte mich wahnsinnig. 

Wir hatten bereits Ende November, wir hatten Halloween gefeiert (wir gingen als Punks, ich sah hinreißend aus!), wir schauten uns so langsam nach Weihnachtsgeschenken um und ich hatte auch schon ein Flugticket für Deutschland gezahlt, damit ich Weihnachten mit unserer Familie feiern konnte. Während dieser Zeit war ich schätzungsweise sieben Mal im Sekretariat meiner Fakultät und zwei Mal im Sekretariat für ausländische Studenten. Immer hieß es warten! 

Warten…worauf? 

Meine Unterlagen sind vollständig und ich hatte alles rechtzeitig abgegeben. Ich hörte von anderen Studenten, italienischen Studenten (!), dass diese auch noch auf eine Bestätigung warteten. Das ist halt so in Italien. “Oh, mio dio!!!”

Es gab also Zeiten, da war ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Aber im Großen und Ganzen ging es mir ganz gut. Das lag vor allem daran, dass mir das Studium richtig gut gefiel. Zudem hatte ich wenig Probleme dem Unterricht zu folgen. Ich hatte nach wie vor meine Privatlehrerin und während des Seminars schrieb ich ohne Probleme mit. Natürlich musste ich dann zu Hause mich ran hocken. Mir fehlte neben den Vokabeln auch sehr viel Basiswissen, welches die anderen Studenten teilweise bereits in der Schule lernten. Doch es machte mir Spaß. 

Nur das Organisatorische, das machte mir zu schaffen. Also beispielsweise, wann genau die Examensprüfungen stattfinden? Wie ich mich dafür anmelden konnte? Wo genau werden die dann stattfinden? usw.. 

Im Großen und Ganzen konnte ich immer Irgendjemanden fragen. Meistens meine Schwester, aber diese sah ich im Moment leider nicht so oft. Sie hatte ihr Buch fertig und nutzte die wenige freie Zeit, neben ihrem Studium, um sämtliche Tiere Roms zu retten. Sie half den Katzen bei Largo di Torre Argentina, wobei es denen eigentlich recht gut ging. Darüber hinaus ging sie noch einmal die Woche in ein Tierheim, eher ein Hundeheim, um dort mit den Vierbeinern ein wenig spazieren zu gehen. Immer mit dabei war ein übermüdeter Italiener und ein “kleiner” Hund, der den Namen eines brasilianischen Schnaps besaß. 

Armer Fico! Manchmal machte ich mir echt sorgen. Er hatte praktisch keine Freizeit mehr, immer war er im Taxi oder mit uns unterwegs. Mir half er bei meinen Hausaufgaben und mit meiner Schwester rettete er Tiere. Oft versicherte ich ihm, dass er das gar nicht machen brauchte. Die Hausaufgaben werden sowieso nie kontrolliert und meine Schwester kannte so viele Menschen oder sie könnte, zu Not, einfach noch mehr Geld spenden. Doch er war ganz anderer Meinung:

Ich sollte im Unterricht gut mitkommen, dafür bräuchte ich die Hausaufgaben und meine Schwester brauchte den Kontakt zu haarigen, nicht sprechenden Wesen auf vier Beinen. Und er hatte Recht! 

IMG_0161

Wenn ich sie mal sah, ging es ihr deutlich besser als zuvor. Sie war nicht mehr so lethargisch, sondern redete und war voller Energie (für ihre Verhältnisse.). Sie fing wieder an gegrilltes Gemüse zu essen (neben Kaffee, Alkohol, Tabletten und Zigaretten) und ging regelmäßig raus. Pitú wuchs und gedieh prächtig und auch Absinth war wie immer lieb und knuffig (so lieb und knuffig wie eine Schlange eben sein konnte). Es schien uns allen recht gut zu gehen. 

Ja, ich denke im Großen und Ganzen ging es mir gar nicht so übel. Nur manchmal musste ich gegen die Tränen ankämpfen. Aber das war eher selten der Fall. Ich hatte schlichtweg keine Zeit traurig zu sein. Morgens die Schule, davor und danach die durchgeknallte Busfahrt, nachmittags ging ich ins Stadtzentrum, um einen Kaffee zu trinken und Weihnachtsgeschenke zu shoppen (meistens war ich dann ebenfalls mit dem durchgeknallten Bus unterwegs) und abends verbrachte ich ab und zu Zeit mit meiner Schwester (ebenfalls etwas durchgeknallt). Die einzige normale Konstanz in meinem Leben war Fico. Alles schien durchgeknallt: ich war immer noch kein Student, die italienische Bürokratie verstand nicht einmal ein Italiener und trotzdem ging ich studieren, kostenlos! 

Verrückt! Aber es gefiel mir. Wenn mir zu Hause die Decke auf dem Kopf fiel, ging ich in ein nettes Kaffee oder blieb in der Universität zum Lernen. Ab und zu trank ich auch mit anderen Studenten einen Café, aber das war eher selten der Fall. Es überraschte mich nicht sehr, denn ich kannte dies von meiner Schwester. Es ist schwer Freunde zu finden. Ich war einfach ein Ausländer, basta. Ein Mensch, aus einem anderen Land, der die Sprache noch nicht richtig konnte aber trotzdem versuchte sich zurecht zu finden. Es fühlte sich an, als wäre man in seinem Körper gefangen. Dieses Gefühl kannte ich nur, wenn ich wieder in einem schwarzen Loch saß, dann ging einfach gar nichts. Doch nun war ich gefangen, auch wenn ich in keinem Loch saß. Es lag einfach an den sprachlichen Barrieren. Aber ich war zuversichtlich, dass ich das hinbekommen würde. 

Jedoch…hätte ich meine durchgeknallte WG nicht, wäre ich richtig alleine. 

IMG_0174

Ok, jetzt darf ich aber durchdrehen. Nun ist es offiziell…ich drehe durch! 

Warum? Ganz einfach: 

Sabrina und ich hatten uns zusammen gesetzt und die Homepage der Universität auf den Kopf gestellt, um herauszufinden, was ich eigentlich bin. 

Im Sekretariat bekam ich, wieder einmal, keine Informationen. Doch hatte ich eine persönliche Seite auf der Homepage der Uni, so wie jeder anderer Student. Und ich war auch wirklich ein Student, doch…für den falschen Studiengang! 

Aus irgendeinen Grund war ich bei Religionswissenschaften eingeschrieben. 

RELIGIONSWISSENSCHAFTEN!!!!

5c2708f2-563d-4ac3-9160-63cb794ad600

Ich und Religion. So oft wie ich Gott verfluchte, weil er mich erschuf, und dann sollte ich das auch noch studieren. Wie zum Teufel…!

Gleich am nächsten Tag ging ich wieder zu meinen Freunden in das Sekretariat meiner Fakultät. Ich hatte zuvor schon die leise Ahnung, dass diese netten Damen nicht immer voll und ganz bei der Sache sind. Und Wiedererwarten konnten sie mir nicht helfen (wobei der Kaffee wie immer vorzüglich war), daher schickten sie mich in das Sekretariat für ausländische Studenten. Dort hatte ich, auf Anraten meiner Schwester, mir vorgenommen nur noch mit einer bestimmten Person zu sprechen.  Einer Person “mit Gehirn”. 

In meinem Fall war diese Person eine gewisse Dott.ssa Volpina. Diese Dame war alles andere als freundlich, herzlich und zuvorkommend wie meine Mädels aus dem Sekretariat der Fakultät. Diese war anders: Eine junge Frau, nicht viel älter als ich, doch sehr kühl, gestresst und in gewisser Weise sogar richtig zickig. Doch genau diese Menschen sind diejenigen “die richtig arbeiteten”, so meine Schwester.  

Selbst Fico war der Meinung: je unfreundlicher, desto besser! Also ab zu Dott.ssa Volpina! 

Und wie immer, wenn ich dort war, kam mir ein Schwall von Arroganz und Hektik entgegen. Auch dort war ich bekannt, doch Kaffee bekam ich leider nicht. Da ich ja mit einer ganz bestimmten Person sprechen wollte, musste ich warten…mal wieder! So wie es aussah hatte nicht nur ich erkannt das Dott.ssa Volpina arbeiten kann. In der Regel wartete ich um die zwei Stunden bevor ich die Person zu Gesicht bekam. Dies lag jedoch daran, dass ich eigentlich nie einen Termin vorher verabredet hatte. Wozu auch? Ich wollte doch nur wissen: ja oder nein! Mehr nicht! 

Vor dem Sekretariat für ausländische Studenten spielte es sich so ab: Man kam an, wartete (natürlich), irgendwann kam eine junge Praktikantin mit einem Klemmbrett raus, notierte sich die Namen und dann hieß es wieder warten. Klar, diejenigen die einen Termin vereinbart hatten kamen ordnungsgemäß an erster Stelle. Ich gehörte, meistens nicht dazu, wie gesagt, wozu auch und vor allem war es meist eher eine Spontan- Aktion an diesen unliebsamen Ort zu kommen. Endlich erreicht ich die Dott.ssa um zu erfahren, was in aller Welt die Universität dazu trieb mich in Religionswissenschaft einzutragen. 

96649D4C-7D69-4F32-A146-5AEEC2490EB8

In Religionswissenschaften…! Naja, wie auch immer. 

Ich saß also dieser “sympathischen” Dame gegenüber und sie tippte wie wild auf ihren Computer rum. Aus irgendeinen Grund, passten meine Unterlagen und mein vorheriger Studiengang in Deutschland dazu, dass ich etwas in diese Richtung studieren sollte. 

Ganz bestimmt nicht!

Keine Sorge, sie würde sich um das Problem kümmere. 

Und was ist mit meinem bevorzugten Studiengang? 

Nichts, ich sollte weiter abwarten. Doch es sei ein gutes Zeichen, dass ich schon einmal in einem Studiengang drin sei, auch wenn es der falsche war. 

Die Universität hatte also realisiert, dass es mich gab und das ich hier studieren möchte. Meno male! 

9d6ab205-92d6-4448-bc2f-7d1e41abbbcc

Mit dieser frohen Botschaft flog ich nach Deutschland. Ich war Student, zwar für den falschen Kurs… aber immerhin.

Leave a comment